Liebe Anwohner, Betroffene, Engagierte und Vertreter der 4. Gewalt,
vergangenen Dienstag, am 28.9.21 fand in Leipzig die Verhandlung von vier Klagen gegen den Planfeststellungsbeschluss zum 1. Abschnit der Neubauplanung einer S4 statt. Die Klagen wurden in erster und letzter Instanz als Folge des Infrastrukturbeschleunigungsgesetzes vor dem Bundesverwaltungsgericht verhandelt.
Die Verhandlungsführung erfolgte extrem voreingenommen. Alle Argumente der Kläger zur Aufklärung der fraglichen Sachverhalte, wie eine fehlende Prüfung einer Nullvariante, eine für den 1. Planfeststellungsabschnitt nicht aussagekräftige Eisenbahnwissenschaftliche Untersuchung (EBWU), die Einschränkung der Kapazität der Strecke Hamburg-Lübeck durch den Fortfall des dritten Gleises zwischen der Horrner Kurve und dem Güterbahnhof Wandsbek, die ungleiche Verteilung der Güterzüge im Tagesverlauf und damit verbunden der Unzulässigkeit der Lärmberechnung, die Notwendigkeit zweier neuer Haltestellen ohne eine standardisierte Bewertung des Verkehrsaufkommens und der damit verbundenen Kosten und die Begrenzung der Eingriffe in das private Eigentum der Kläger wurden mit der Unterstellung einer fehlenden Kompetenz seitens der Kläger und ihrer Gutachter zurückgewiesen. Auf der Seite der Bahn wurden alle Vorträge unhinterfragt akzepiert selbst wenn keine Begründung vorgelegt wurde. Vielmehr wurden den Anwälten und Sachverständigen der Bahn sowie des Eisenbahnbundesamtes die „richtigen“ Antworten per Fragestellung schon vermittelt. Insgesamt wurde in Leipzig kurzer Prozess gemacht. Dies hatten so nicht einmal Vertreter der Bahn erwartet, wie in der Mittagspause zu hören war.
Während etwa für die Diskussion über die Ausgestaltung zweier Wendehämmer etwa eine Stunde zur Verfügung stand, wurde auf die Problematik des Lärmschutzes weniger als eine halbe Stunde „verschwendet“.
Wir sind bisher davon ausgegangen, dass die Aufgabe unseres Justizwesens die Befriedung von Konflikten und die Herstellung eines Rechtsfriedens ist. Wir wurden leider mit der Tatsache konfrontiert, dass durch die Tatsache der Verkürzung des Rechtsweges auf eine Instanz einer Willkürjustiz Tür und Tor geöffnet wird. Das Gericht hat sich mit der Art der Verhandlungsführung offensichtlich bemüht, die Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland vollumfänglich abzuweisen, an einer Ermittlung von Tatsachen und den Grundlagen der Planfeststellung bestand kein Interesse, da diese zu einer Aufhebung der Planfeststellung hätten führen können. Die Anwälte aller vier klagenden Parteien waren erschüttert.
Allerdings hätten wir gewarnt sein können. Das Tympanon am Haupteingang des ehemaligen Reichsgerichtes, erbaut 1895, zeigt keine Justizia mit Binde und Waage, vielmehr erscheint eine sehende Justizia mit dem Schwert und kämpft für, ja für was eigentlich?

Das heute verkündete Urteil wird also einen Rechtsfrieden nicht herstellen, sondern im Gegenteil Wasser auf die Mühlen der Gegner unseres Rechtsstaates sein. Wir müssen nun der traurigen Tatsache ins Auge sehen, dass die schlechteste und teuerste Planung vollumfänglich umgesetzt werden wird. Für die mindestens 2 Mrd., die hier sinnlos ausgegeben werden, könnten alle Schäden an der Bahninfrastruktur in Nordrhein-Westfalen und in Rheinland-Pfalz beseitigt werden, aber Geld spielt ja keine Rolle.
Mit dieser erschütternden Erkenntnis haben wir so nicht gerechnet.
Arnold Harmsen
1. Vorsitzender Verein Lärm- und Umweltschutz Wandsbek-Marienthal